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aus Kapitel

Nordic-Walking

 

Das Schicksal meinte es nicht gut mit mir. Die letzte Woche meines Probetrainings hatte bereits begonnen, zwei zusätzliche todschicke Sport-Outfits bereicherten meine Garderobe, doch mit Hermännchen ging es nicht voran. An mangelndem Interesse oder fehlendem Charme meinerseits lag es nicht. Vielmehr überschnitten sich unsere Trainingszeiten nur selten. Entweder verabschiedete er sich gerade, wenn ich kam oder umgekehrt. Nur drei Mal trafen wir aufeinander, und das im wahrsten Sinne des Wortes. Abgelenkt durch liebenswerte Mitstreiter auf dem Schlachtfeld der Fitness rauschte ich in ihn hinein, rempelte ihn an oder er ertappte mich in einer peinlichen Situation. Nicht dass ich etwas gegen diese Art von Tuchfühlung einzuwenden hätte, sah sich Hermann doch stets genötigt, mir hilfreich unter die Arme zu greifen! Aber letztlich stand ich immer wie ein Tölpel da und stammelte verworrenes Zeug, von Finesse und Rhetorik meilenweit entfernt. Dagegen mussten ja meine weiblichen Attribute verblassen.

Doch heute sollte alles anders werden. Elli, ein Vögelchen in Form einer spindeldürren Mittvierzigerin hatte mir zugeflüstert, dass Hermann zur Mittagszeit sein Training absolvieren würde. Und auf Elli war Verlass. Statt ihre Bandscheibenvorfälle zu kurieren, benutzte sie das Fitnessstudio als eine Art von  Input-Forum für ihr Spatzenhirn. Ihre Passion für Klatsch und Tratsch suchte ihresgleichen. Dabei stellte ihre Stimme, was Intensität und Geschwindigkeit anging, noch Hella von Sinnen in ihren Paraderollen in den Schatten. Ihrem schrillen Geschnatter konnte man sich mit viel Wohlwollen nur wenige Minuten widmen, wollte man keinen Gehörschaden riskieren. Doch als sprudelnde Quelle informativen Gequassels schien sie mir regelrecht unentbehrlich. Denn das profunde Wissen dieses bekannten Kommunikationswunders wollte ich anzapfen.

Ich kurvte mit meiner Nuckelpinne durch die schmalen Straßen unseresStädtchens, stets darauf bedacht, den Bremslichtern meines Vordermannes nur ja nicht zu nahe zu kommen. Es goss in Strömen, aber wegen dieser paar Bindfäden musste man noch lange nicht den Verkehr lahm legen und mich von meinem ach so wichtigen Training abhalten. „Mann, gib Gas!“, schimpfte ich vor mich hin. Hermännchen würde nicht den ganzen Nachmittag im Fitnessstudio verbringen.

Mein Ziel kam in Sichtweite, ein freier Parkplatz erst nach hundert Metern. Und das bei diesem Wetter! Na toll! Wofür hatte ich mir eigentlich morgens die Haare aufgedreht?

Ich blieb noch einige Minuten im Auto sitzen bis der Schauer etwas nachließ. Dann schnappte ich mir meine Sporttasche und rannte los. Schon nach wenigen Schritten klebten mir die ersten Locken im Gesicht. Ich setzte zum Endspurt an, legte noch einmal richtig Tempo zu und warf mich schließlich mit meinem ganzen Gewicht gegen die Eingangstür des Fitnesstempels.

„Aaaah ...! O Gott!“

Ich brauchte erst gar nicht aufzusehen, um zu wissen, wer das Opfer meines „Homeruns” geworden war. Diese Stimme erkannte ich unter tausenden. Aber was hatte der Kerl hinter der Eingangstür zu suchen?

„Eeeh ...tut ... tut mir leid!“, stammelte ich verlegen. „Ich ...ich hab dich nicht gesehen.Soll ich dir einen Eisbeutel holen oder kann ich sonst was für dich tun?“

„Lass mal gut sein“, stöhnte Hermann und hielt sich immer noch mit beiden Händen die Stirn. „Geht schon wieder.“

„Sicher?“

Er nickte und rang sich sogar ein nachsichtiges Lächeln ab. „Wusste gar nicht, dass du es so eilig hast, zum Training zu erscheinen.“

„Nur, wenn die Umstände es erfordern!“

Die Worte waren einfach so aus mir herausgeplatzt. War mir das peinlich! Was mochte Hermann bloß von mir denken?

„Ist ja auch ein scheußliches Wetter“, missverstand er mich glücklicherweise. „Aber jetzt muss ich mich sputen. Muss noch zu einer Beerdigung. Die Pflicht ruft. Mach’s gut, und viel Spaß beim Training.“

Das hatte ich ja mal wieder schön verbockt. Offenen Mundes starrte ich hinter ihm her, als er zu seinem Wagen eilte. Und mit ihm gingen auch meine Träume für diesen Tag dahin; ich hatte mir den Nachmittag in den schillerndsten Farben ausgemalt.

„Ist das die neueste Methode, geile Typen anzubaggern?“

Auch diese Stimme war unverkennbar; sie ging mir durch Mark und Bein.

„Hallo Elli“, seufzte ich und war schlagartig in der Realität. „Nein, nicht wirklich! DieAnziehungskraft war einfach zu groß – zwischen Hermann und der Tür natürlich.“

„Natürlich...“, kam es mit einem süffisanten Grinsen zurück, wobei ihre sonnenbankgebräunte Lederhaut noch mehr Falten warf. Und ein geistreiches „und mein Name ist Hase“, schickte sie noch hinterher. Es geht doch nichts über ein paar abgedroschene Phrasen!

„Erlaube mal, ich bin schließlich verheiratet!“, spielte ich die Empörte. Dass mein Interesse an Hermann selbst dieser Person mit dem IQ einer Amöbe nicht entgangen war, verunsicherte mich ein wenig. Aber auch nur ein wenig! Schließlich bestand die Möglichkeit, dass Elli nur von sich auf andere schloss.

„Ach, komm schon! Mir kannst du’s doch sagen“, meinte sie verschwörerisch und legte mir dabei lässig ihre magere, ausgiebig bestückte Lederklaue auf die Schulter. Ich werde wohl nie begreifen, wie jemand an fünf Fingern acht Ringe tragen kann und sich zudem noch Strasssteine in die unnatürlich langen Kunstnägel einarbeiten lässt. Mir lief es eiskalt den Rücken hinab.

Obwohl sich Elli um einen diskreten Tonfall bemühte, drangen ihre Worte dennoch bis ans andere Ende des Raumes. Der Zwischenfall erregte bereits Aufsehen. Ich kam in Zugzwang, musste verhindern, das die Gerüchteküche neue Nahrung bekam.

Ich startete den Versuch, Elli eine ironische Antwort in derselben Phonstärke zu verpassen.

„Ach Elli, mal ganz im Vertrauen: In unserem Alter müssen wir Frauen uns schon etwas einfallen lassen, damit die – wie sagtest du noch so schön? – geilen Typen uns zu Füßen liegen. Notfalls müssen wir ihnen eine Tür vor den Kopf donnern.“

Das sensationslüsterne Publikum applaudierte mit wieherndem Gelächter. Nur Elli starrte mich offenen Mundes an und runzelte dabei die Stirn. Man konnte deutlich sehen, wie es hinter ihrer Fassade mächtig arbeitete. Ihre grauen Zellen schienen einen neuen Rekord anzustreben.

„Aber Hermann ist doch gar nicht hingefallen“, kam es gewieft zurück. „Außerdem: den Kerl kannst du ohnehin vergessen! Das haben schon ganz andere probiert. Sogar in Gruppen haben sie ihn angebaggert, haben die schärfsten Geschütze aufgefahren. Junge, knackige Dinger .“

Oh Mann! Tausende von Spermien, und so etwas setzte sich nun durch! Betroffen schüttelte ich nur noch mit dem Kopf und ließ sie einfach stehen, während sie völlig unbedarft weiterquasselte. So beschränkt konnte sie nun wirklich nicht sein. Oder doch? Elli schien der lebende Beweis für die weisen Worte des Konfuzius: „Wer Geist hat, hat sicher auch das rechte Wort, aber wer Worte hat, hat darum noch nicht notwendig Geist.“

 Es wurmte mich mächtig, dass sie mir meine Pointe vermasselt hatte. …